Es ist so einfach, jemanden in eine Schublade zu stecken, und noch besser ist es, wenn diese Person in dem Schema bleibt, in das sie eingeordnet wurde. Aber wehe, wenn diese Person sich erdeistet, auszubrechen. Wir sind, sicher auch unter dem Einfluss der Bubbles in den sozialen Medien, nicht mehr an Vielfalt gewöhnt und es fällt uns schwer, mit der Tatsache umzugehen, dass es andere Meinungen gibt, und es fällt uns noch schwerer, diese zu respektieren. Wenn ich pointiert schreibe oder rede, bekomme ich garantiert sofort Reaktionen wie: „Du bist doch ein Liberaler, das kannst du doch nicht so sehen/sagen“, „das ist aber jetzt gar nicht dein Stil“, „hast du das selber geschrieben“ oder „wo hast du das denn abgeschrieben“. Gerade „liberal“ ist so ein Punkt, der mir um die Ohren gehauen wird. Alle scheinen zu wissen, was liberal ist und wie ein Liberaler sich auszudrücken, ja zu denken hat. Ja, ich bleibe nicht in einer Schublade, in die ich mich nie gesteckt habe und ja, ich erlaube mir auch mal meine Meinung zu ändern und ja, das darf man. Es käme mir auch nie in den Sinn, jemanden zu korrigieren und ihm meine Meinung aufzuzwingen, was aber nicht heisst, dass ich versuchen würde, jemanden von meiner Meinung zu überzeugen.
Ist die Welt wirklich so einfach geworden?
Natürlich ist es weniger anstrengend und viel einfacher, wenn sich alle so verhalten, wie sie von anderen gesehen werden. In diesem Fall bräuchten wir nichts mehr zu lesen, nichts mehr zu hören und vor allem nichts mehr zu denken. Natürlich ist es einfacher, seine Mitmenschen in Schubladen zu stecken. Jemand ist für oder gegen etwas, wofür oder wogegen ich auch bin, jemand ist Mitglied einer Partei, also reagiert er entsprechend, jemand postet, dass er bei einem Fussballspiel ist, also macht er dies oder jenes, usw. Man kann sich noch so viel Mühe geben, es allen recht zu machen, es geht einfach nicht, zumal jeder eine andere Vorstellung davon hat, in welche Schublade man gehört, also ist immer jemand unzufrieden mit dem, was man sagt oder schreibt. Besonders penibel wird es, wenn in Kommentaren, und das passiert immer häufiger, suggeriert wird, dass einem die Worte in den Mund gelegt wurden. Wer jemandem das eigene – freie – Denken abspricht, erklärt ihn für unmündig. Was bedeutet das eigentlich für die Person, die so kommentiert? Ist diese Person überhaupt selber mündig oder ist sie nur zu faul, sich mit der Differenziertheit ihres Gegenübers auseinanderzusetzen? Es ist so einfach, dort zu applaudieren, wo sich jemand so verhält, wie man es von ihm erwartet, und wenn er diese Erwartung nicht erfüllt, ist es ebenso einfach, sie oder ihn zurechtzuweisen.
Gerade durch die Algorithmen in den Social Media bekommen wir immer mehr nur das auf den Bildschirm, was uns in den Kram passt. Wer also nicht aufpasst und sich zusätzlich auch über die Social Media Einträge hinaus informiert, anstatt sich einfach nur das anzeigen zu lassen, was ihm gefällt, tappt in die Falle und erschrickt früher oder später, weil dann doch einmal eine Meinung aufpoppt, die nicht in das eigene Schema passt und das vermeintlich sogar von einer Person, die sich doch bisher konform zur eigenen Meinung verhalten hat. Sich jetzt aber auf die Plattformen zu stürzen und ihnen die Schuld zu geben, ist populistisch und in keiner Weise zielführend. Ich weiss, es ist unangenehm, aber die einzig sinnvolle Lösung für eine vielfältige Sicht auf andere Menschen und auch Meinungen ist es, eigenverantwortlich zu handeln. Ich selber suche und akzeptiere Freunde, die eine andere Meinung haben und sich anders äussern, als ich es gerne hätte. Auf diese Weise, so hoffe ich zumindest, tappe ich weniger oft in die Bubble-Falle. Dieser Mechanismus funktioniert übrigens auch „offline“ sehr gut. Es geht ganz einfach und ohne Anfeindungen, Korrekturen etc., indem man mit Leuten ins Gespräch kommt, die ganz offen eine andere Meinung haben. Es kostet nichts, sich eine andere Meinung anzuhören, ohne sie korrigieren zu müssen oder zu wollen. In solchen Gesprächen lerne ich oft mehr als in solchen, in denen wir alle einer Meinung sind.
Zuhören und mit Respekt andere Meinungen akzeptieren
Mittlerweile ist unsere, nicht nur die politische, Welt arg durcheinandergekommen und die Pole entfernen sich immer weiter voneinander. Gerade in solchen Zeiten ist es enorm wichtig, sich gegenseitig zuzuhören, ohne den anderen ständig korrigieren oder ihm seine Meinung aufzwingen zu wollen. Natürlich kann und soll man in Diskussionen bei seiner eigenen Meinung bleiben und diese auch mit Nachdruck vertreten. Aber man sollte auch erwarten dürfen, dass der andere einem mit dem gleichen Respekt zuhört und akzeptiert, dass man selbst auch eine andere Meinung haben kann. Es darf in diesen Diskussionen nicht darum gehen, in jedem Fall einen Konsens zu finden oder die eigene Meinung jemandem aufzuzwingen. Es geht vielmehr darum, sich respektvoll zu verständigen, voneinander zu lernen und eine andere Meinung auszuhalten. Damit komme ich auf das zurück, was ich am Anfang gesagt habe: „Der einzige Weg zu einem guten Miteinander ist der gegenseitige respektvolle Umgang“.