Antisemitismus ist ein komplexes und vielschichtiges Phänomen mit einer langen Geschichte und war zu keiner Zeit die Schuld von Jüdinnen und Juden.
Hass auf die Juden reicht weit in die Geschichte zurück. Er ist so alt wie das jüdische Volk. Er existierte schon, bevor das Judentum zu einer Religion wurde und lange bevor moderne antisemitische Schriften wie die „Protokolle der Weisen von Zion“ entstanden. Es ist keineswegs so, dass der Antisemitismus seit dem 7. Oktober 2023 neu aufgeflammt ist, er war nie wirklich „weg“. Er hat sich im Laufe der Zeit in seiner Form, Wahrnehmung und Intensität verändert. Die aktuelle mediale Aufmerksamkeit erweckt den Eindruck, es handele sich um ein neu erstarktes Phänomen. Dabei handelt es sich eher um eine verstärkte Wahrnehmung und Thematisierung. Auch der muslimische Antisemitismus ist keineswegs ein neues Phänomen, sondern hat komplexe historische und theologische Wurzeln. Er speist sich sowohl aus religiösen Quellen als auch aus der Übernahme europäischer antisemitischer Ideen aus dem 19. und 20. Jahrhundert Das Erstarken des muslimischen Antisemitismus im Westen hat mit Migration, geopolitischen Entwicklungen und medialer Aufmerksamkeit zu tun.
Damit komme ich auf den Titel dieses Beitrags zurück: Die Bekämpfung des Antisemitismus ist nicht das Problem der Juden, sondern eine Gesellschaftliche Herausforderung. Es bedarf eines breiten Engagements und Bewusstseins in der gesamten Gesellschaft, um Vorurteile und Hass zu bekämpfen und ein friedliches Zusammenleben zu fördern.
Juden sind nicht die Ursache des Antisemitismus, sondern sie sind das Ziel des Antisemitismus
In vielen Artikeln in der Presse und in den sozialen Medien und noch mehr in Diskussionen, oft auch im direkten Kontakt mit Mitmenschen, beginnen viele Sätze mit: „Ihr (gemeint sind die Juden) solltet dies und das tun“ oder „Was wollt ihr (die Juden), dass wir für euch tun“. Das ist der völlig falsche Ansatz und hat, wenn auch sicher nicht beabsichtigt, bereits antisemitische Züge. Denn man kann nicht die Juden für den Antisemitismus verantwortlich machen. Sie sind auch nicht für die Lösungen zuständig. Das ist eine Täter- Opferumkehrung. „Juden sind nicht die Ursache des Antisemitismus, sondern sein Ziel“. Die Bekämpfung von Antisemitismus ist eine gesellschaftliche Aufgabe.
Vergleichbar wäre es, wenn das Opfer eines Taschendiebstahls für den Diebstahl verantwortlich gemacht würde. Die Verantwortung für die Straftat und auch für die Lösung liegt nicht beim Opfer. Genau so ist es mit dem Judenhass.
Antisemitismus ist mehr als ein Verstoss gegen das Gesetz
Im Vergleich zum Diebstahl ist der Antisemitismus kaum kriminalisiert. Judenhass ist gesellschaftlich verankert und akzeptiert. Juristisches Gegenmittel ist der Paragraph 261bis StGB. Dieser bedingt ein Straftat in der Öffentlichkeit und lässt explizit den Judenhass im privaten zu. Wäre Antisemitismus gesellschaftlich nicht akzeptiert, wäre der Paragraph sicher stärker ausgefallen. Es gibt in der Fachwelt einen Streit darüber was Antisemitismus ist und dieser Streit ist auch in den alltäglichen Debatten wahrnehmbar.
Was „wieder erstarkt“, und da komme ich auf den Anfang zurück, ist die Bereitschaft, seinen Antisemitismus zu zeigen. Das ist möglich, weil die Gesellschaft nicht mehr reflexartig reagiert, wenn Juden angegriffen werden.
Juden, werden in der aktuellen Berichterstattung zu Unrecht immer wieder für Übergriffe verantwortlich gemacht
Fast zwanghaft folgt spätestens seit dem 7. Oktober 2023 auf jeden antisemitischen Vorfall sofort die Schuldzuweisung an die Juden und damit die Täter-Opfer-Umkehrung. Die Empörung über die Angriffe auf Juden und Israelis, was für Antisemiten und viele Menschen dasselbe ist, in Amsterdam war nicht gross. Schon in den ersten Berichten wurde kolportiert, dass es die Schuld der israelisch-jüdischen Fans sei, die ja provoziert hätten. Kein Wort davon, dass sich pro-palästinensische Terroristen schon Tage vorher in den sozialen Medien organisiert haben und es ein gezielter Angriff auf Juden war. Eine Provokation von israelischen Hooligans hätte es dazu wirklich nicht gebraucht. Das Herunterreissen einer Fahne (es ist nicht einmal klar, ob die entsprechenden Bilder wirklich aus Amsterdam stammen) kann nicht solche gut organisierten Reaktionen auslösen. Genausogut könnte man immer noch glauben, Polen hätte 1939 Deutschland überfallen und damit den Krieg ausgelöst oder die Juden hätten den Reichstag angezündet.
Das Antisemitismusproblem kann nicht von den Juden und Jüdinnen gelöst werden
Die Verantwortung für die Bekämpfung von Judenhass liegt bei der Gesellschaft, der Politik, den Strafverfolgungsbehörden und den Medienschaffenden. Gerade JournalistInnen und KommentatorInnen müssen besonders sensibel mit dem Thema umgehen und dürfen Jüdinnen und Juden nicht für den gegen sie gerichteten Hass verantwortlich machen. Nur durch ein ernsthaftes, gesellschaftliches Engagement kann Antisemitismus langfristig bekämpft werden. Lösungen im Kampf gegen Judenhass können nicht von den Betroffenen kommen. Sie sind nicht dafür verantwortlich. Antisemitismus ist ein weltweites Problem. Es wird nicht von selbst verschwinden.